Montag, 19. Februar 2007

Der Charakter der Vornehmlichkeit

"Die grenzenlose Bereitschaft, sich Mühe zu geben" das ist die treffende Beschreibung für einen Gentleman. Ein Gentleman ist jemand, der nichts dem Zufall überlässt. Es reicht nicht, dass man sich tadellos kleidet und dass alle makellos gepflegt ist. Die ganze Erscheinung muss vollkommen sein. Ist es bald eit für einen Haarschnitt? Sind die Fingernägel gut manikürt? Sitzt der Hut im richtigen Winkel? Ist der Regenschirm so eng gerollt, wie es sich gehört?
All diese und noch viele weitere Fragen muss ein Gentleman sich stellen, sobald er mit dem Frühstück fertig ist (das er in Pyjama, Pantoffeln und Morgenmantel einnimmt) und während er sich rasiert, ein Bad nimmt oder sich ankleidet. Denn schliesslich hat man ja nicht den ganzen Tag seine komplette Ausstattung dabei. Den Damen ist eine Handtasche gestattet mit allerlei Wässerchen und Elixieren, mit Lack und Puder, so dass sie ihrer Schönheit, wenn es denn erforderlich wird, einen neuen Schliff geben können. Ein Gentleman hingegen muss, wenn er Haus, Wohnung oder Club verlässt, perfekt sein für den ganzen Tag. Vom Morgen bis zum späten Abend dar die Nelke im Knopfloch nicht welken, kein Häärchen des getrimmten und fein gewachsten Schnurrbarts dar sich sträuben, das Funkeln in den Augen darf nie erlöschen.
In den den dreissiger Jahren gab es in England eine Varietékünstler, der nannte sich "Billy Bennett beinahe ein Gentleman". Doch so etwas ist unvorstellbar. Entweder man ist einer, oder man ist es nicht. Es gibt Standards, die muss man halten. Jemand, für den die Latte zu hoch liegt, tut besser daran, wenn er es gar nicht erst versucht. Edmund Burke, der englische Staatsphilosoph des 18. Jahrhunderts, schrieb einmal an einen Freund:" Der König kann einen Mann in den Adelsstand erheben, aber er kann ihn nicht zum Gentleman machen."
Auch die grösste Macht und der grösste Wohlstand machen aus einem Mann noch keinen Gentleman. Doch der, der sich bemüht und dessen Streben von Erfolg gekrönt ist ...! Oh ja, dem eröffnet sich eine wunderbare Welt - eine Welt, zu der nur wenigen der Zugang vergönnt ist. Und dann merkt man: Um ein Gentleman zu sein, genügt nicht eine bestimmte Kleidung - obwohl das durchaus eine Vorbedingung ist. Man braucht auch ein bestimmtes Benehmen. Denn ein Gentleman ist durch und durch anständig, er tut instinktiv stehts das Richtige. Ein wahrer Gentleman sorgt dafür, dass die Frauen und Kinder ins Rettungsboot kommen, und er selbst geht mit dem Schiff unter. Er wird niemals ein Pferd misshandeln oder einen Freund verraten. Er weiss, wann eine Dame Gesellschaft wünscht und wann sie lieber allein sein möchte. Er trinkt lieber ein Glas guten Champagner als eine Flasche billigen Wein. Der Gentleman ist niemals unhöflich, so arrogant oder rüde ein Geringerer ihm gegenüber auch sein mag.
Doch eine kleine Warnung ... mann kann es mit rein äusserlichem Perfektionismus auch übertreiben. Betrand Russell (selbst viel zu exzentrisch und zu achtlos mit seinem Äusseren, als dass er je als Gentleman gegolten hätte) sagte einmal zu Anthony Eden, er sei "kein Gentleman; dazu ist er zu gut angezogen." Eden war in den dreissiger Jahren ein schneidiger junger Mann, der Liebling der englischen Konservativen, und in den Fünfzigern Aussenminister unter Churchill. Man sah ihn stehts in gestreifter Hose mit makelloser Bügelfalte, im schwarzen Jackett mit Weste, gestärktem weissen Kragen und perfekt gebundenerer Krawatte, und auf dem Kopf sas der elegante schwarze Hut, dem er seinen Namen gab. Eden setzte Massstäbe für die Mode, doch zumindest Russel fand, dass seine moralischen Qualitäten hinter seiner Kleidung zurückblieben. Wer Bernhard Roetzels wunderbares Buch in die Hand nimmt, braucht sich zumindest um das Äussere keine Sorgen mehr zu machen. Nick Yapp

KMB 122.1 #20A

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